November 2016
Projektbezeichnung: Den Kreislauf der Marginalisierung ländlicher junger Menschen durchbrechen: Schaffung einer berufsbildenden Schule im Distrikt Pujehun, Sierra Leone
Geplante Projektlaufzeit: 01.01.2017 bis 31.12.2020
Projektkonzept: KNSL möchte dabei helfen, den jungen Menschen in unserem Projektgebiet, dem Distrikt Pujehun im Süden von Sierra Leone, neue Perspektiven für ihr Leben in dieser ländlichen Region zu eröffnen. Dazu will KNSL zusammen mit unserer Partnerorganisation Pujehun Youth for Development (PYD) im Hauptort des Distrikts ein Berufsbildungszentrum aufbauen, das benachteiligte junge Leute beruflich befähigt und ihnen so die Möglichkeit gibt, sich eine tragfähige Existenz auf dem Lande zu schaffen. Die Mehrzahl der jungen Leute im Distrikt hat vor Ort keine Möglichkeit, eine anerkannte Berufsausbildung zu absolvieren, die die Chance auf eine angemessen bezahlte Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit böte. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Lebensverhältnisse auf dem Land zu verbessern und die Abwanderung von immer mehr jungen Menschen in die Städte aufzuhalten.
Ein Großteil der ca. 300.000 Einwohner des Distrikts Pujehun lebt in extremer Armut und kann sich menschliche Grundbedürfnisse wie ausreichende Ernährung, Wohnung, Schulbildung, medizinische Versorgung und Kleidung kaum leisten. Die sierraleonische Regierung hat zwar vor einigen Jahren den kostenlosen Besuch von Primar- und Sekundarschule bis zum 9. Schuljahr eingeführt, doch können viele Familien nicht für Schulmaterialien wie Hefte, Stifte, Schuluniform und Schuhe aufkommen. So gehen viele Kinder gar nicht oder nur für wenige Jahre zur Schule. Aber auch für die, die zur Schule gehen, bestehen vor Ort nur sehr geringe Chancen auf eine gute Bildung, denn die
Schulen verfügen nur über sehr begrenzte Lern- und Unterrichtsmaterialien. Da nur wenige Familien in der Lage sind, ihre Kinder zur Ausbildung in eine der Städte des Landes zu schicken, bedeuten fehlender Zugang zu qualitativ guter Primar-/Sekundarschulbildung, schlechtes Abschneiden in staatlichen Prüfungen und das vollständige Fehlen berufsbildender Angebote im Distrikt, dass mittellose junge Menschen, besonders Mädchen, mit unvollständiger Schulbildung und ohne berufliche Qualifizierung dastehen und kaum Chancen auf bessere Jobs, ausreichende Einkommen und geachtete soziale Positionen haben.
Wie PYD 2014 feststellte, gehen ca. 75% der jungen Leute im Distrikt vor Abschluss der Grundbildung (9. Klasse) von der Schule ab oder besuchen gar keine Schule. In den abgelegenen Chiefdoms Sakrim und Yakemo Kpukumu Krim in den Flussauen des Distrikts verlassen Jungen und Mädchen meist nach 8-9 Jahren aus Gründen, die mit der familiären Sozialisation zusammenhängen, die Schule. Frauen haben hier nur eingeschränkte wirtschaftliche und soziale Rechte, viele sind der weit verbreiteten Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung ausgesetzt, Eltern verwehren den Töchtern oft den Schulbesuch oder das Recht auf Landbesitz, und wegen fehlender medizinischer Versorgung sind sie besonders gefährdet, wenn sie schwanger werden. Die meisten Mädchen müssen schon nach der Primarschule abgehen, um sich um jüngere Geschwister zu kümmern, kranke Angehörige zu pflegen oder verheiratet zu werden, während die Jungen die Schule beenden müssen, um durch Arbeit zum Familieneinkommen beizutragen.
Eine sogenannte SWOT-Analyse (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats), die KNSL und PYD im Juli 2015 im Distrikt durchgeführt haben, kam zu dem Ergebnis, dass der Distrikt einige natürliche Ressourcen besitzt. Es gibt fruchtbaren Boden, der sich für Ackerbau in größerem Maßstab eignet. Seit den 1980er Jahren werden vielerorts Diamanten abgebaut, wenn auch meist illegal. In den Chiefdoms Kpaka und Gallines Peri wurden Eisenerzvorkommen entdeckt, und vor der Küste des Distrikts werden Probebohrungen nach Erdöl und –gas durchgeführt. Eine frühere Studie von PYD zur Landwirtschaft als Beschäftigungsfaktor für junge Menschen hatte 2013 festgestellt, dass die meisten jungen Menschen im Distrikt in Dörfern leben, in denen die Landwirtschaft traditionell die wichtigste Lebensgrundlage bildet.
Die Mehrzahl der Einwohner des ländlichen Distrikts hatte in dem langen Bürgerkrieg Hab und Gut, Häuser, Felder und Arbeit verloren, war in Nachbarländer geflüchtet oder zu Binnenvertriebenen geworden. Nach Kriegsende hat sich die Landwirtschaft mit Hilfe von Entwicklungszusammenarbeit einigermaßen erholt.
Hauptanbauprodukte sind Reis und Maniok für den eigenen Bedarf, weitere wichtige Erzeugnisse sind Süßkartoffeln, Kokosnüsse, Erdnüsse, Orangen, Bananen, Mangos, Papaya und Ananas. Als Cash Crops werden Palmöl, Gummi, Kakao und Kaffee produziert. Außerdem tragen Fischerei, Hühner- Schaf- und Ziegenhaltung sowie der Gemüseanbau in Hausgärten zum Lebensunterhalt bei. Dennoch ist der Distrikt immer wieder von Nahrungsknappheit betroffen. Das hat sich während der Ebola-Epidemie noch einmal deutlich verschlechtert.
Wegen der geringen Produktivität der Landwirtschaft und schlechten Aussichten auf Beschäftigung im Distrikt sind viele junge Leute als Tagelöhner in die Städte und die Diamantenabbaugebiete abgewandert. Die SWOT-Analyse hat auch gezeigt, dass es im Distrikt eine Tradition informeller Lehren bei kleinen Handwerkern in Berufen wie Kunsthandwerk, Weben, Schneidern, Schreinern, Maurerei, Schmieden, Ackerbau, Fischfang, Nahrungsverarbeitung und Kleinhandel gibt. Inzwischen würden viele junge SchulabgängerInnen gerne weiter lernen. Die meisten sind aus dem regulären Schulalter heraus und interessieren sich zunehmend für eine nicht-traditionelle handwerkliche Ausbildung.
Meist bleibt dies aber ein Wunschtraum, weil es im Distrikt keine berufsbildende Einrichtung gibt und es für die meisten Familien nicht erschwinglich ist, die Kinder auf eine Berufsschule in einer größeren Stadt zu schicken. Das Interesse an nicht-traditionellen Berufen wie z.B. Automechanik, Catering, Hair-Styling und Kosmetik hat seit Kriegsende deutlich zugenommen. Für viele junge Leute, die die Schule gegen ihren Wunsch vorzeitig verlassen mussten, bietet eine Lehre ein wenig Aussicht auf soziale Mobilität und eine Zukunft jenseits der Armutsgrenze.
Die große Zahl arbeits- und mittelloser junger Menschen bereitet im Distrikt schon lange Sorgen. Wie die SWOT-Analyse deutlich gemacht hat, hat die Verdrossenheit perspektivloser jungen Menschen im Distrikt beträchtliche politische und soziale Auswirkungen – das wurde erst vor kurzem wieder sichtbar, als es im Kontext von Wahlen zu Unruhen kam. Junge Leute waren auch federführend bei Demos gegen die Ölpalmen-Plantage im Chiefdom Malen, die eine Revision des Pachtvertrags forderte, mit dem 85% der Ackerflächen des Chiefdoms langfristig an dieses Projekt vergeben worden waren.
Die Jugendproblematik wird in jedem größeren Ort im Distrikt sichtbar: In Pujehun, Massam, Yonni, Gobaru, Massah, Gbondapi und Bandajuma hängen zahlreiche ungelernte oder unterbeschäftigte Nichtstuer, Tagelöhner oder Straßenhändler und Teenage-Mütter ab. Ohne Aussicht auf weitere Ausbildung lungern sie in Gruppen auf den Plätzen herum oder sehen in Lokalen Fußballspiele westlicher Ligen im Fernsehen. Wenn diese jungen Menschen mobilisiert würden, ihr Potenzial sinnvoll und planmäßig zu entwickeln, könnte das für sie selbst wie für die Gemeinschaft einen großen Schritt nach vorn bedeuten. Hier sieht auch der Jugendrat des Distrikts (PDYC) die Schaffung eines bedarfsorientierten, qualitativ hochwertigen beruflichen Bildungsangebots, das alle Sektoren der lokalen Wirtschaft abdeckt und allen jungen Leuten offen steht, als eine wirksame Strategie, um in diesem marginalisierten Distrikt ein kompetentes, motiviertes, anpassungsfähiges und innovatives junges Arbeitskräftepotenzial zu entwickeln.
Das geplante Berufsschulprojekt soll über vier Jahre umgesetzt werden. Die erste Projektphase von Anfang 2017 bis Ende 2018 umfasst (a) den Bau des berufsbildenden Instituts in der Kleinstadt Pujehun mit vier Lehrwerkstätten und einer Lehrfarm, (b) Auswahl und Weiterbildung des Lenkungsgremiums und des Management-Teams (anfangs für das Projekt, später für das Institut) und der AusbilderInnen und (c) Ausarbeitung und Gestaltung der Lehrpläne und der Unterrichtsmaterialien. Die zweite Projektphase von Anfang 2019 bis Ende 2020 umschließt die Umsetzung des Lehrbetriebs in Einklang mit der Berufsbildungspolitik der Regierung und der Tätigkeit der unterstützenden Dienste (Produktionsabteilung, Business Development Unit, Cafeteria, Internet-Café und Kita). Bis Dezember 2020 sollen mindestens 1.860 junge Menschen, darunter 30% Frauen/Mädchen und 5% Menschen mit Behinderungen, in landwirtschaftlichen Kurzschulungen, Halbjahres- und ein- oder zweijährigen-Ausbildungsgängen ausgebildet worden oder eingeschrieben sein. Wir gehen davon aus, dass mindestens 75% der AbsolventInnen ihre erworbenen Fähigkeiten innerhalb eines halben Jahres nach Ausbildungsabschluss in einer bezahlten Beschäftigung oder als Selbstständige zum Einsatz bringen können. Das Ausbildungsangebot wird die Arbeitsproduktivität im Distrikt erhöhen und Frauen und jungen Männern bessere Einkommensmöglichkeiten eröffnen. Und damit wird ein Beitrag zur Armutsminderung und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse im Distrikt geleistet.